Die Urkunde vom 17. Juli 1313 und das Lüneburger Lehnregister des Jahres 1360
sowie auf den Spuren der Oerreler Mühle

Die Urkunde von 1313

Es gibt eine weitere Urkunde, die uns leider nicht im Original vorliegt, deren Text aber in der von Christian Ludwig von Bilderbeck 1751 herausgegebenen „Sammlung ungedrukter Urkunden und anderer zur Erläuterung der Niedersächsischen Geschichte und Alterthümer gehörigen Nachrichten, Zweites Stück“ nachgelesen werden kann. Danach verkaufte Gherardus von Odeme am 17. Juli 1313 (oder 1318) zwei Höfe in Oerrel an die Familie von Meltzing.

Im „Zweites Stück“ dieser Sammlung wird diese Urkunde im Vorbericht auf Seite 10 unter der Ziffer VI. erwähnt:

Gherardus miles de ODEM & Ghevehardus filius, vendunt nobilibus de Meltsingh 6 curias in villa Alenborstle, 2 curias in Orle & 1 curiam in Redhebere sub pacto de retrovendendo. Anno 1313

Übersetzt:

Gherard, der Ritter von ODEM, und Ghevehardus, der Sohn, verkaufen an die Adligen von Meltsingh 6 Höfe im Dorf Alenborstle, 2 Höfe in Orle und 1 Hof in Redheber im Rahmen einer Rückverkaufsvereinbarung. im Jahr 1313 *3 

Der vollständige lateinisch geschriebene Text der Urkunde befindet sich auf der Seite 25 unter „Einige Urkunden der von Odeme“:

Gherardus miles de ODEM & Ghevehardus filius, vendunt nobilibus de Meltsingh 6 curias in villa Alenborstle, 2 curias in Orle & 1 curiam in Redhebere sub pacto de retrovendendo. Anno 1313 

Ego Gherardus miles de ODEM, & Ghevehardus filius meus, per presentes nostras literas publice protestamur, quod nos, cum consensu & bona voluntate omnium heredum nostrorum legitimorum & amicorum, quoroum nunc interest aut interesse poterit in futurum, vendidimus Johanni de Meltsingh & suis patruelibus, videlicer Johanni & Heynrico, filiis Domini Heynrici de Meltsingh, pie memorie, pro ducentis & triginta duabus marcis, & octo solidis Hamburgensium denariorum, sex curias in villa Alenborstle sitas, cum suis litonibus in ipsis curiis residentibus & duas curias in Orle, absque litonibus, & vnam  curiam in Redhebere sine litone, hereditario iure, a predictis Famulis & eorum heredibus possodendas, cum ipsarum attinentiis, omnibus videlicet domibus, agris cultis & colendis, pascuis, areis, pratis, nemoribus & virgultis & omni iure, quo nos eas  usque in presens possedimus ab antiquo, talibus tamen conditionnibus interpositis, quod infra spacium quinque annorum, a festo S. Michaelis nunc venturo. numerandorum, predictis famulis per se, vel per alios in rusticos predictarum curiarum exactionem, quod eciam ipsas curias infra predictum terminum quandocunque nobis, sive nostris heredibus placuerit, pro quantitate antedicte pecunie ab eisdem Famulis reemere possimus, ita tamen quod siipsas ante fgestum Sancti Jacobi Apostoli, vel in ipso sancto die pro iam dicta pecunia, reemerimus, census earum (a) ad nos, si autem post festum S. Jacobi reemerimus, census manebit apud eos.

Sin autem infra antedictum terminum, non reemerimus, eas post hec reemendi ipsas aliquam penitus non habebimus facultatem. In horum omnium evidens testimonium, presentem literam nostro sigillo, & sigillo fratis nostri Karissimi Domini Godefridi militis de ODEM, duximus roborandum. Datum Honsted, anno Domini M.CCC.XVIII. in die Allexii Confessoris. 

Der Text lautet in der laienhaften Übersetzung:

Gherard, der Ritter von Odeme und Ghevehardus, der Sohn, verkaufen an die Adligen von Meltsingh 6 Höfe im Dorf Alenborstle, 2 Höfe in Orle und 1 Hof in Redheber im Rahmen einer Rückverkaufsvereinbarung. im Jahr 1313 *3) 

Ich, Gherardus, der Soldat von Odeme, und Ghevehardus, mein Sohn, (protestieren) geben öffentlich mit unseren vorliegenden Briefen bekannt, dass wir mit Zustimmung und gutem Willen aller unserer rechtmäßigen Erben und Freunde, die jetzt Interesse haben oder in Zukunft interessiert sein könnten, dies getan haben, den Verkauf an Johann de Meltsingh und seine Cousins, nämlich Johanni und Heynric, die Söhne des Herrn Heynric de Meltsingh, in frommer Erinnerung für zweihundertundzweiunddreißig Mark und acht feste Hamburger Denare, sechs der Höfe im Dorf Alenborstle, mit ihren Liten *1) , die in den Höfen selbst leben, und zwei Höfe im Dorf Orle, ohne die Liten *2), und ein Hof in Redhebere ohne Liten, von Erbrecht, das den oben genannten Landwirten und ihren Erben zusteht, mit ihrem Zubehör, nämlich allen Häusern, bebaubaren und unbebaubaren Grundstücken, Weiden, Feldern, Wiesen, Wäldern und Büschen und allen Rechten, die uns zustehen besaßen sie von alters her bis heute, mit solchen Bedingungen dazwischen, dass sie innerhalb von fünf Jahren, vom nun kommenden Fest des heiligen Michael (Michaelis) an, zustande kommen werden, unter Berücksichtigung der Durchsetzung der oben genannten Höfe durch die oben genannten Bediensteten selbst oder durch andere gegenüber den Bauern, so dass auch die Höfe selbst innerhalb der oben genannten Frist, wann immer es uns oder unseren Erben gefällt, wir sie für den oben genannten Geldbetrag von den Dienern zurückkaufen können, wenn wir sie jedoch vor dem Fest des Apostels Jakobus oder am selben Feiertag für das bereits erwähnte Geld einlösen, geht ihre Steuer (a) an uns, wenn wir sie jedoch nach dem Fest des Heiligen Jakobus zurückkaufen, die Steuer verbleibt bei ihnen.

Wenn wir sie jedoch nicht innerhalb der oben genannten Frist einlösen, sind wir danach überhaupt nicht mehr in der Lage, sie einzulösen. Als klaren Beweis dafür haben wir den vorliegenden Brief mit unserem Siegel und dem Siegel unseres liebsten Bruders Godefrid, dem Soldaten von Odeme, bestätigt. Gegeben zu Honsted, im Jahr des Herrn 1318 *3) am Tag von Alexius dem Bekenner*4) 

Demnach = Gegeben zu Hanstedt, am 17. Juli 1313 oder 1318 *4)

Über den nachfolgenden Link können die beiden Fundstellen der Orle betreffenden Urkunde in dem Buch von Bilderbeck online in der Bayerischen Staatsbibliothek/MDZ Digitale Sammlungen nachgelesen werden: 

'Sammlung ungedrukter Urkunden und anderer zur Erläuterung der Niedersächsischen Geschichte und Alterthümer gehöriger Nachrichten. 2', Bild 10 von 80 | MDZ (digitale-sammlungen.de)  

 

*1) Litonibus = Liten (die dort lebenden Bauern) Litonibus darf nicht mit „Meeresufer“ oder „Ufer“ übersetzt werden. Es wurde hier für die „Liten“  oder auch „Lassen“ verwendet, das waren halbfreie, zinshörige Bauern, siehe dazu nachfolgende Links:

Liten – Wikipedia        Lasse (Stand) – Wikipedia        Lehrbuch der deutschen Rechtsgeschichte - Google Books           Die Liten und Aldionen nach den Volksrechten - Google Books

*2) Die beiden Höfe in Oerrel wurden ohne die dort lebenden Liten (halbfreie Bauern) verkauft, da diese bereits dem Sankt Michaeliskloster in Lüneburg abgabepflichtig waren. 

*3) Wenn die Urkunde - wie in der Einleitung im Buch angegeben - aus dem Jahre 1313 stammen soll, dann hat Christian Ludwig von Bilderbeck beim Abschreiben der Originalurkunde entweder einen Übertragungsfehler oder einen Schreibfehler begangen. Wenn es sich tatsächlich um das Jahr 1313 handelt, dann gehört das „V“ nicht in die römische Jahreszahl, sondern müsste an der Stelle M.CCC.XIII. stehen. Wenn in der Urkunde aber tatsächlich M.CCC.XVIII. stand, dann wäre es tatsächlich im Jahr 1318 gewesen und Bilderbeck hätte es falsch gelesen. Da die Originalurkunde nicht vorliegt, lässt sich das leider nicht mehr endgültig klären. 

*4) Dagegen ist sicher, dass es am 17. Juli gewesen ist, denn dieser Tag ist der Gedenktag von Alexius von Edessa – Wikipedia 

 Der Verkauf dieser beiden Oerreler Höfe an die Familie von Meltzing ist noch 50 Jahre später im Lüneburger Lehnregister von 1360 wiederzufinden. 

Orle im Lüneburger Lehnregister

© Bayerische Staatsbibliothek

Rechtehinweise für alle hier gezeigten Auszüge aus dem Buch "Archiv für Geschichte und Verfassung des Fürstenthums Lüneburg. 9. 1863" aus der Bayerischen Staatsbibliothek.

https://rightsstatements.org/page/NoC-NC/1.0/?language=de 

Das Lüneburger Lehnregister aus dem Jahre 1360 ist leider nicht mehr im Original vorhanden. Glücklicherweise gibt es aber eine Abschrift, die vom „Landschafts-Director“ Wilhelm von Hodenberg *1) 1856 angefertigt und erstmals gedruckt wurde. Da von Hodenberg sein Werk nicht ohne ein ausführliches Personen und Ortsregister veröffentlicht haben wollte, konnte es erst nach seinem Tod veröffentlicht werden. Veröffentlicht wurde es von Ernst Ludwig von Lenthe, der es im Jahre 1863 im 9. Band seines Buches „Archiv für Geschichte und Verfassung des Fürstenthums Lüneburg“ ohne vollständiges Personen- und Ortsregister abdruckte. Ernst Ludwig von Lenthes handschriftliches „Manuscript zu den Lüneburger Lehn-Registern der Herzöge Otto und Wilhelm“ ist erhalten geblieben und befindet sich heute im Niedersächsischen Landesarchiv in Hannover. 

Zunächst müssen wir die beiden Begriffe "lehen" und "Register" erklären, da diese heute nicht mehr gebräuchlich sind:

Durch das "Lehen" übertrug ein Lehnsherr eine ihm gehörende Sache (das Lehen oder das Lehnsgut) einem Gefolgsmann, Vasallen oder Lehensmännern, die dafür politische Treue oder militärische Gefolgschaft versprechen mussten. *2)

Das aus dem lateinischen stammende Wort "Register" bedeutet „Bestand aufnehmen“ und „eintragen“ und wurde seit dem Mittelalter für Verzeichnisse in der Verwaltung verwendet. In solchen Registern (Verzeichnissen) wurden alle möglichen Verwaltungsangelegenheiten erfasst, eben registriert. *3)

Im Lüneburger Lehnregister sind demnach alle von den Herzögen Otto III *4) und Wilhelm II *5) von Braunschweig und Lüneburg an ihre treuen Gefolgsleute übertragenen Lehen im Zeitraum zwischen 1330 und 1482 erfasst. Ernst Ludwig von Lenthe hat dieses Register in seiner Abschrift in mehrere Perioden unterteilt. Die drei „Orle“ betreffenden Einträge gehören danach in die Dritte Periode. Diese fällt in die Zeit der alleinigen Regentschaft von Wilhelm II von Braunschweig und Lüneburg zwischen 1352 und 1369. Die vorangegangene Zweite Periode geht von 1330 bis 1352 und beinhaltet den Zeitraum der Doppel-Regentschaft der Herzöge Otto III und Wilhelm II von Braunschweig und Lüneburg, die mit dem Tod Ottos am 19. August 1352 endete. 

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© NLA HA Dep. 37 S, Nr. 126

Die Veröffentlichung der Auszüge aus dem Manuskript erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Niedersächsischen Landesarchivs in Hannover.

Dieses Archivgut ist Eigentum des Niedersächsischen Landesarchivs in Hannover. Ohne vorherige schriftliche Zustimmung des Niedersächsischen Landesarchivs dürfen diese Abbildungen nicht gespeichert, reproduziert, archiviert, dupliziert, kopiert, verändert oder auf andere Weise genutzt werden. 

Mit einer Ausnahme stammen sämtliche Einträge der Dritten Periode – die Nrn. 311 bis 725 - alle aus dem Jahr 1360, so auch die unser Dorf betreffenden drei Einträge. In der gedruckten Fassung findet man Orle auf der Seite 39 unter der Nr. 441, auf der Seite 46 unter Nr. 534 und auf der Seite 50 unter der Nr. 575. Zum Vergleich haben wir diese Nummern aus der gedruckten Fassung denen aus dem handschriftlichen Manuskript gegenübergestellt. 

Nr. 441 Johan Melcync (Melzing) *6) 

(…) onde enen hof to orle. 

(...) und einen Hof in Orle

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Nr. 575 Heyneke Meltzing *6)

I. hof to orle. (...) 

1 Hof in Orle (...)

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Wie aus dem Lüneburger Lehnregister zu ersehen ist, besaßen Johan Melcync und Heyneke Melzing (trotz unterschiedlicher Schreibweise in diesem Register handelt es sich um die gleiche Familie Meltzing) ihre beiden 1313 (1318) von Gherardus von Odeme gekauften Höfe in Orle noch.

Nr. 534 Johan von Odeme *7) 

(...) to orle anderhaluen hof. (...)

(...) in Orle die (andere) Hälfte Hof. (...)

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Dagegen besaß zu dieser Zeit Johan von Odeme in Orle einen anderhaluen Hof, was mit großer Wahrscheinlichkeit bedeutet, dass er in Orle „nur noch“ einen halben Hof hatte, denn die andere Hälfte hatte er laut Urkunde vom 19. November 1347 ja bereits an den Mönch Anton von Melbeck verkauft. Insofern muss vermutet werden, dass das Wort „anderhaluen“ in diesem Fall „die andere Hälfte“ bedeutet und sich aus den Wörtern „ander“ in der Bedeutung von „andere (von beiden), zweite, einer von beiden“ und „halve (half)“ für „Hälfte, halber Teil“ zusammensetzt.

Allerdings gab es in der mittelniederdeutschen Sprache auch das Wort „anderhalven“ und das bedeutete „auf der anderen Seite“ oder „gegenüber, jenseits“. Zwar könnte diese Wortbedeutung auch für Orle zutreffen. Allerdings nur dann, wenn Johann von Odeme zwei Höfe in Orle besessen hätte, nämlich den Hof 5, den er bereits zur Hälfte an den Mönch Anton verkauft hat, und den Hof 2, der am Ende der heutigen Straße Unter den Buchen lag. Denn nur diese beiden Höfe liegen sich genau gegenüber (siehe Beschreibung des Dorfes unter Orle – Ort am Wald). Doch dann müsste es eigentlich „anderhauen hove“ (= Höfe) statt hof (Hof) heißen.

Allerdings scheint für diese These die Vermutung zu sprechen, dass sich aus dem Wort „anderhalven“ das Wort „anderthalb“ = einundeinhalb entwickelt haben könnte, was tatsächlich aber nicht zutrifft. Ursprünglich bedeutete das aus dem althochdeutschen stammende Wort „anderthalb“ nämlich „das andere (zweite) halb oder anderhalb“. Heute würden wir sagen, die andere Hälfte, und damit wären wir doch wieder bei nur einem Hof, dessen eine Hälfte verkauft wurde und die andere im Jahre 1360 noch im Besitz von Johann von Odeme ist. 

Das Wort „anderhaluen / anderhalven“ macht die Sache in unserem Fall zwar nicht so leicht, zumal es in späteren Dokumenten immer mehr in der Bedeutung von einundeinhalb gebraucht wurde. Was jeweils gemeint ist, ist aus heutiger Sicht oft nur schwer zu entscheiden. In unserem Fall deuten aber andere uns bekannte Tatsachen darauf hin, dass hier nur die zweite Hälfte des Hofes gemeint sein kann, bei dem es sich um den Hof Nr. 5 (später Kuhlmann) handeln dürfte.

Zu Nr. 534 = anderhalven   

Mittelniederdeutsches Handwörterbuch - August Lübben - Google Books

›anderthalb‹ in: Deutsches Wörterbuch (¹DWB) | DWDS 

›ander‹ in: Deutsches Wörterbuch (¹DWB) | DWDS

ander – Schreibung, Definition, Bedeutung, Etymologie, Beispiele | DWDS

anderthalb – Schreibung, Definition, Bedeutung, Etymologie, Synonyme, Beispiele | DWDS 

mnd_a (koeblergerhard.de) A = anderhalve

Halbe = Seite / Häfte:

›halbe‹ in: Deutsches Wörterbuch (¹DWB) | DWDS

Halbe, die - Zeno.org

Anderthalb - Zeno.org

mnd_h (koeblergerhard.de) H = Halve = Seite / Hälfte 

 

Das komplette Lüneburger Lehnregister kann online in der Bayerischen Staatsbibliothek und im MDZ-Digitale Sammlungen sowie bei Google Books unter den nachfolgenden Links im Band 9 des Buches "Archiv für Geschichte und Verfassung des Fürstenthums Lüneburg" eingesehen werden. In der Suchfunktion ist jeweils das Wort „orle“ hinterlegt, so dass die uns betreffenden Seiten automatisch angezeigt werden. Andernfalls das Wort Orle in der Suchfunktion eintragen und anzeigen lassen. Der vierte Link führt zur Titelseite des Werkes von Ernst Ludwig von Lenthe.

'Archiv für Geschichte und Verfassung des Fürstenthums Lüneburg. 9. 1863', Bild 53 von 574 | MDZ (digitale-sammlungen.de)

Archiv für Geschichte und Verfassung des Fürstenthums Lüneburg Bd. 9 - Bayerische Staatsbibliothek

Archiv für Geschichte und Verfassung des Fürstenthums Lüneburg - Google Books 

Startseite Lüneburger Lehnregister - MDZ-Digitale SammlungenStartseite Lüneburger Lehnregister - MDZ-Digitale Sammlungen 

Auf den Spuren der Oerreler Mühle

Es soll nicht unerwähnt bleiben, dass es noch zwei Einträge im Lehnregister gibt, die wahrscheinlich nichts mit Orle (Oerrel) zu tun haben, aber irgendwie doch auffällig sind, da eine eindeutige Ortszuweisung aus heutiger Sicht nicht erkennbar bzw. mir nicht bekannt geworden ist. Es handelt sich um die Einträge mit den Nummern 126 und 404, auf die hier kurz eingegangen wird. 

Der Eintrag der Nr. 126 stammt aus der Zeit der Zweiten Periode, die von 1330 bis 1352 gerechnet wurde. Der für uns interessante Auszug dieses Textes lautet:

her Bolwin von Wenden (…) ok enen hof vnde en kot to osterlo vnde lorlemolen vnde de molen to embere (…)

Herr Bolwin von Wenden (…) auch einen Hof und eine Kate zu Osterloh und Lorlemolen (?) und die Mühle in Embere (…)

Wenden (livländisches Adelsgeschlecht) – Wikipedia 

© Bayerische Staatsbibliothek

© NLA HA Dep. 37 S, Nr. 126

Zu Nr. 126: Die Bedeutung des Wortes „lorlemolen“ habe ich bisher nicht herausfinden können. Ohne den Buchstaben „L“ am Anfang würde es „Orlemühlen“ bedeuten. Da Lenthe dieses Wort in seinem Manuskript zuerst mit „S“ - also „Sorlemolen“ - geschrieben und dann in „lorlemolen“ abgeändert hat, ist davon auszugehen, dass dieser Anfangsbuchstabe tatsächlich, aber nicht versehentlich geschrieben wurde. Er muss also auch im Original vorhanden gewesen sein. Es muss also nach einem Ort gesucht werden, der früher mal lorlemolen genannt wurde. 

Der Eintrag Nr. 404 stammt wieder aus der Dritten Periode und der für uns interessante Textauszug lautet:

Henr. von Hademestorpe den meyerhof to Swarmsten. V. koten. de molen tor ole. (…)

Heinrich von Hademstorf den Meyerhof in Schwarmstedt, 5 Katen, die Mühle zu Ole (?)(…) 

© Bayerische Staatsbibliothek

© NLA HA Dep. 37 S, Nr. 126

Zu Nr. 404: Heinrich von Hademstorf hat neben dem Meyerhof in Schwarmstedt, wo er auch 5 Katen besitzt, u. a. noch die Mühle zu ole („de molen tor ole“). Einen Ort mit dem (alten) Namen Ole konnte ich ebenfalls nicht zuordnen. Fehlt hier evtl. eine „r“, dann könnte es „orle“ heißen. Ob hier evtl. ein Schreibfehler im Original vorhanden war oder Lenthe einen Fehler bei der Abschrift gemacht hat, lässt sich heute nicht mehr klären, da es das Original Lehnregister nicht mehr gibt. 

Beides erwähne ich auch nur deshalb, weil es mit großer Wahrscheinlich irgendwann einmal eine Mühle in Oerrel gegeben haben müsste. Darauf weisen nämlich alte Flurnamen hin, von denen der Mühlenkamp heute noch bekannt und gebräuchlich ist, da er im Grundbuch verwendet wird. Der Mühlenkamp befindet sich dort, wo heute die Jagdhäuser stehen und reicht bis zur ehemaligen Badeanstalt, deren Grundstück sich wiederum auf dem Flurstück „Mühlenhop“ befindet. Ferner gibt es in diesem Bereich noch den „Mühlenhof“, die „Mühlenhopswiese“, das „Müller- oder Mühlenmoor“ sowie das „Mühlenmoorsgehäge“.

Darüber hinaus gibt es weitere Flurnamen die ebenfalls auf eine Mühle hindeuten. Dies sind der „Mahlerskamp“, „Bei Mahlers Kamp“ und „Mahlers Immhäge“ Das Wort „Mahler“ hatte ursprünglich die Bedeutung von „der da mahlt“, also der Müller oder ein „Mahlgast“, also jemand, der beim Müller mahlen lässt. Es spricht vieles dafür, dass diese drei „Mahler-Flurnamen“ darauf hindeuten, dass diese Flurstücke dem Besitzer der Mühle, also dem Müller (dem Mahler) gehörten. Da es in Orle – soweit mir bis heute bekannt ist – in früheren Jahrhunderten keine Bauern mit dem Familiennamen Mahler gab, dürften diese Flurnamen keinen direkten Namensbezug haben, sondern gaben zu erkennen, dass sie dem „Mahler = Müller“ bzw. zu dessen Hof gehörten. 

Eine Häufung so vieler Flurnamen mit einem Mühlenbezug kann kein Zufall sein, sondern ist eigentlich nur damit zu erklären, dass die Mühle für Orle (Oerrel) damals eine große Bedeutung gehabt haben müsste. Der Flurname „Mühlenkamp“ deutet fast schon eindeutig darauf hin, dass auf diesem Grundstück eine Mühle steht oder mal stand.

Allerdings gibt es – außer diese Flurnamen – keinerlei Hinweise, dass es diese Mühle tatsächlich einmal gab. In keiner der von mir bisher eingesehenen Archivalien und sonstigen Dokumente aus früheren Zeiten wird jemals eine Mühle in Orle erwähnt. Im Landesarchiv Hannover findet man zwar Hinweise zu einer Mühle in Orle, allerdings handelt es sich dabei jeweils nicht um unser Dorf, sondern um Oerrel bei Hankensbüttel im Kreis Gifhorn.

Die Mühle in unserem Orle (Oerrel) muss es in sehr frühen Zeiten gegeben haben und dürfte nicht belehnt worden sein. Da aus allen bisher bekannten Archivalien hervorgeht, dass es in Orle zumindest seit dem 14. Jahrhundert immer nur fünf Höfe gab, muss die Mühle zu einem der Höfe gehört haben. Es spricht sehr viel dafür, dass dies der Hof 5 (später Hof Kuhlmann) war. Somit war es eine Mühle im Nebenbetrieb. Ob dort Korn zu Mehl gemahlen wurde oder ob die Mühle einen anderen Zweck hatte (z. B. eine Sägemühle) kann nur spekuliert werden. Da nur Kornmühlen belehnt wurden, wäre dies ein Grund, warum die Mühle nur lokale Bedeutung hatte. Als Sägemühle könnte sie bei der Entstehung des Dorfes eine wichtige Rolle gespielt haben. 

Hier noch ein paar Links zur Namensforschung von "Mahler" 

Mahler = der da malt, Müller, Mahlgast   ›mahler‹ in: Deutsches Wörterbuch (¹DWB) | DWDS 

Malen, melen = mahlen, Tätigkeit des Mahlens  mnd_m (koeblergerhard.de) 

Möllaere = Möller, Müller, Mühlenbesitzer, -pächter mnd_m (koeblergerhard.de) 

Suche A - Z - alle Deutsche Nachnamen, Großgoerge, edgro (alle-deutsche-nachnamen.de)  Dort auch = Mahler in Einzelfällen auch eine patronymische Bildung zum deutschen Rufnamen Mahlert, gebildet aus althochdeutsch, aus altsächsisch mahal (Gericht, Versammlung, Rede) und aus althochdeutsch harti, herti, aus altsächsisch hard (hart, stark). 

Im Altsächsächsischen Wörterbuch von Gerhard Köbler: 

Mahal = Gerichtsstätte, Versammlung Rede / mahlian = reden, Versammlungsrede  Altsächsisches Wörterbuch = M (Mahal als Suchwort eingeben)  

hard = hart (…) = Hart, stark, kühn, tapfer  Altsächsisches Wörterbuch = H (hard als Suchwort eingeben) 

 

Hier noch allgemeine Informationen zu Wassermühlen bei Wikipedia: 

Wassermühle – Wikipedia  

Für alle, die sich für den Bau von Mühlen in früheren Jahrhunderten interessieren, folgen hier noch Links zu dem dreibändigen Buch „Theatrum Machinarum Molarium oder Schau-Platz der Mühlen-Bau-Kunst“ von Johann Matthias Beyer aus den Jahren 1767 bis 1788, die online bei der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf eingesehen werden können.

Theatrum Machinarum Molarium oder Schau-Platz der Mühlen-Bau-Kunst (1) - uni-duesseldorf

Theatrum Machinarum Molarium oder Schau-Platz der Mühlen-Bau-Kunst (2) - uni-duesseldorf

Theatrum Machinarum Molarium oder Schau-Platz der Mühlen-Bau-Kunst (3) - uni-duesseldorf 

Das Buch gibt es auch in der Bayerischen Staatsbibliothek / MDZ-Digitale Sammlungen. Dort lässt sich besser mit der Suchfunktion arbeiten, die hier einmal auf „Wasser-Mühle“ und zum anderen auf „Säge-Mühle“ voreingestellt sind

'Beyer, Johann Matthias: Theatrum Machinarum Molarium, Oder Schau-Platz der Mühlen-Bau-Kunst. 1: Welcher allerhand Sorten von solchen Machinen, die man Mühlen nennet, so wohl historisch als practisch ... vorstellet', Bild 3 von 236 | MDZ (digitale-sammlungen.de)

'Beyer, Johann Matthias: Theatrum Machinarum Molarium, Oder Schau-Platz der Mühlen-Bau-Kunst. 2: Sind ... in- und ausländische Mühlen- und dahin gehörige Ordnungen ... nebst dem Kern des Mühlen-Rechts ... enthalten ...', Bild 7 von 524 | MDZ (digitale-sammlungen.de) 

Über das Lüneburger Lehnregister war nichts über eine Mühle in Oerrel an der Kleinen Oertze in Erfahrung zu bringen. So bleibt die Oerreler Mühle bis auf Weiteres ein ungelöstes Rätsel. Es gibt aber im Register der Herzöge einen Eintrag, der auf den ersten Blick vielversprechend aussah. Bei näherer Betrachtung aber letztendlich auch keinen eindeutigen Beweis liefert. Darauf gehen wir am Ende des Kapitels "Register der Herzöge" noch näher ein. 

An dieser Stelle geht es mit dem nächsten Register weiter, in dem Orle erwähnt wird. Es handelt sich um das aus dem 15. Jahrhundert stammende 

 „Winsener Schatzregister“.