Nekrolog des Sankt Michaelis-Klosters in Lüneburg

Das Nekrolog des St.-Michaelis-Klosters Lüneburg war ein kalendarisches Verzeichnis, in das die Todestage von Verstorbenen eingetragen wurden. Allerdings wurde dabei nicht das jeweilige Jahr mit festgehalten, so dass die Einträge leider nicht zeitlich genau zugeordnet werden können, sofern die genauen Todesdaten nicht aus anderen Dokumenten bekannt sind. Das gilt auch für die Einträge, in denen Orle erwähnt wurde. Von diesen ist für uns besonders der erste Eintrag interessant, in dem der Tod der Mechthild von Slavia (von Lüneburg) erfasst wurde. Das früheste Todesjahr könnte nämlich das Jahr 1301 oder 1302 gewesen sein, was aber leider nicht mit Sicherheit belegt werden kann. Dazu später mehr. Wir haben es dennoch unter dem Jahre 1301 in unsere Zeitleiste eingeordnet, da darin alle vor dem Jahre 1308 eingetragenen Jahresdaten nicht genau belegbar sind. Und dazu gehören eben auch die des Nekrologium des Michaelis-Klosters, das ab 1201 angelegt wurde, wobei darin aber auch frühere Einträge aus einer älteren ab ca. 900 entstandenen Handschrift aufgenommen wurden. Es wurde von 1201 bis zum Jahre 1458 fortgeführt. 

Quellen: Nekrolog (Totenverzeichnis) – Wikipedia

Nekrolog der Kirche St. Michael in Lüneburg – Wikipedia  

Leider liegt das Original nicht mehr vor, da es bei einem Fliegerangriff der Royal Air Force auf Hannover in der Nacht des 9. Oktober 1943 im dortigen Hauptstaatsarchiv verbrannt ist. Glücklicherweise wurde der Inhalt des Nekrologs von dem Lüneburger Archivar Anton Christian Wedekind in seinem Buch „Noten zu einigen Geschichtsschreibern des deutschen Mittelalters“ festgehalten, so dass er uns heute doch noch bekannt ist. 

In seinem 1835 herausgegebenen 2. Band dieses Buches befasst sich Wedekind auf Seite 398 unter der „Note LXXIV.“ Mit Mathilde von Werle, wobei er auf folgenden Eintrag im Nekrolog St. Michaelis eingeht:

„VI idus Januarii ob.(iit) domina Methildis de Slavia, que dedit III partes in decima in Orle . . . . et casulam illam cum margaritis.

Was übersetzt heißt:

Am 8. Januar starb Herzogin Methildis (Mechthild) von Slavia, die den 3. Teil eines Zehnten in Orle gab …. und ihr mit Perlen besticktes Messgewand.

Im anschließenden Text geht Wedekind kurz auf die erwähnte Methildis (Mechthild) ein, was wir hier an anderer Stelle ebenfalls noch machen werden. 

Das Buch findet man sowohl in den Digitalen Sammlungen des MDZ als auch bei Google Books. In den nachfolgenden Links sind die betreffenden Seiten jeweils mit dem Suchwort „Orle“ voreingestellt.

'Wedekind, Anton Christian: Noten zu einigen Geschichtschreibern des Deutschen Mittelalters. 2: Note XXXI - LXXX', Bild 412 von 506 | MDZ (digitale-sammlungen.de)

 Note LXXIV in Noten zu einigen Geschichtsschreibern (...), Wedekind, Anton, Christian - Google Books 

Ein Jahr später – 1836 – erscheint sein 3. Band „Noten zu einigen Geschichtsschreibern des Deutschen Mittelalters. Dieses Buch beginnt mit dem Abdruck seiner im Jahr 1833 erschienenen Veröffentlichung des Nekrologium monasterii S. Michaelis. Darin sind mehrere Einträge enthalten, in denen „Orle“ vorkommt. Gleich auf der 2. Seite findet man den Eintrag über die verstorbene Mechthild.

Die übrigen sechs Einträge in denen „Orle“ vorkommt, findet man wieder über die Suchfunktion; dort wieder „Orle“ eingeben. Die angezeigten Seiten werden eventuell nicht in der richtigen numerischen Reihenfolge angezeigt, können aber durch Anklicken komplett eingesehen werden. Von der ersten geöffneten Seite gelangt man durch „weiter“ klicken auf die nächsten Seite, ohne wieder über die Suchfunktion zu müssen.

Die Einträge im Nekrologium sind nicht nach Jahren, sondern nach Monaten geordnet, da – wie bereits erwähnt - die Jahreszahlen in einem Nekrolog nicht von Bedeutung waren. Eine genaue zeitliche Zuordnung ist daher nicht möglich. Die Einträge erstrecken sich in diesem Nekrolog vom 13. bis ins 15. Jahrhundert. Bei allen Einträgen geht es um den Zehnten in Orle.

'Wedekind, Anton Christian: Noten zu einigen Geschichtschreibern des Deutschen Mittelalters. 3: Note LXXXI - XCIV

Noten zu einigen geschichtsschreibern des deutschen mittelalters - Google Books 

Nachfolgend der lateinische Text der sieben Einträge im Nekrolog, in denen Orle erwähnt ist, und deren ungefährer Wortlaut in einer von mir verfassten einfachen Übersetzung. Zum leichteren Auffinden, sind die Textstellen mit Orle rot hervorgehoben. Die Einträge ins Nekrolog erfolgten nach dem Römischen Kalender, deren Daten im Buch von Anton Christian Wedekind in rot geschrieben wurden. Wedekind hat zum besseren Verständnis das jeweilige Datum nach dem heutigen gregorianischen Kalender vorangestellt. Die zählweise des römischen Kalenders ist für uns heute sehr umständlich, so dass die Umrechnung nicht so ohne weiteres möglich ist. Eine Beschreibung sowie den kompletten römischen Kalender mit sämtlichen Tagen eines Jahres findet man unter Der römische Kalender - Antikes Christentum , anhand dessen sich die Einträge im Nekrolog sehr gut nachvollziehen lassen. Ausführliche Informationen über den römischen Kalender gibt es auch bei Wikipedia: Römischer Kalender - Wikipedia 

Januaris - Januar

8     XVI   A.Vi.Id9   (8. Januar) – nach 1301/1302

O. Domina + Methildis de Slavia, que dedit III partes in decima in Orle ….. et casulam illam cum margaritis +

Starb Herrin (Herzogin) + Methildis von Slavia, die 3 Teile des Zehnten in Orle gab ….. und ihr mit Perlen (cum margaritis) besticktes Meßgewand (casulam)

Erläuterungen:

O. = Obiit = Er (Sie) starb oder ist verstorben       o. - obiit Ad fontes: Ressourcen / Abkürzungen / Cappelli online (uzh.ch)

Et casulam illam cum margaritis = Übersetzung auf Seite 31 in = Geschichtliche Nachrichten aus dem Kloster Wienhausen bei Celle über das meklenburgische Fürstenhaus (lbmv.de)  

Martius = März

20   IIII   B   XIII. Kal.    (20. März)

Cuthberti epi. O. Bernhardus diacon. Adalhardus mon. n. c. f.

Alheydis la. soror nra. II sol. in Orle de minuta decima

Hic obseruabitur perpetuis temporibus memoria mgri. Johannis Steenberg, necnon fratrum, sororum, parentum et benesactorum suorum; qui anno domini M CCCC XXX in prosesto Gregorii ppe. centum marcas Luneburgenses in prompto auro nobis ad turrim de novo exstruendam et ecclesie nostre continuandam obtulit et ob anime sue salutem liberaliter erogauit.

(Am Tag des) Bischofs Cuthberti starb Diakon Bernhardus. Adalhard ein Brudermönch unserer Kirchengemeinde (oder hier evtl. sogar wahrscheinlicher =) Ordensgemeinschaft, deren Mitglieder sich u.a. konkreten Aufgaben außerhalb des Klosters widmen).

Die Erklärung für mon. n c. f. ergibt sich aus dem Nekrologium, da dort an anderen Stellen ausgeschrieben wurde:

mon = monachus = Mönch

n. = (nre.) = nostra oder nostrae = unser oder unsere

c. = congregationis = Kirchen-Gemeinde oder Ordensgemeinschaft

f. = (fr.) = frater = Bruder

mon. n. c. f. = monachus nostra congregation(is) frater = wörtl. = Mönch unserer Kirchengemeinde Bruder

n. / nre. = nostra / nostrae n - nre. Ad fontes: Ressourcen / Abkürzungen / Cappelli online (uzh.ch)

f. / fr. = frater fr - frater Ad fontes: Ressourcen / Abkürzungen / Cappelli online (uzh.ch) 

Übersetzung:

Alheydis (la = lauda =) Lob Schwester (nra = nostra =) unsere (Lob unsere Schwester) 2 (sol = solidi = Schillinge) in Orle den kleinen (= minuta) zehnten (= decima)

= Alheydis Lob unserer Schwester, gab 2 Schillinge vom kleinen Zehnten in Orle

Hier wird die Erinnerung an den Meister für immer bewahrt. John Steenberg sowie seine Brüder, Schwestern, Eltern und seine Gratulanten; der im Jahr des Herrn 1330 im Jahr Gregors des Großen. Er bot uns hundert Mark Lüneburg (Lüneburger Mark) in verfügbarem Gold an, um den Turm wieder aufzubauen und unsere Kirche weiterzuführen, und für sein Seelenheil spendete er großzügig.

Solidus – Wikipedia

September 2014 : Solidus Numismatik (solidus-numismatik.de)

sol. - solidus Ad fontes Ressourcen/Abkürzungen/Capelli online (uzh.ch) 

Aprilis – April

23   IX         VIIII Kal.   (23. April)

(…)

Wilburgis l. IIII sol. In Orle de decima.

Wilburgis (l =laudabilis) Lobwürdig (gab) 4 (sol. = Solidi = Schilling) vom Zehnten in Orle

l. - laudabilis Ad fontes: Ressourcen / Abkürzungen / Cappelli online (uzh.ch) 

……….............................

 

28        XIIII      F.    IIII. Kal.      (28. April)

Eghehardus l. duas marcas de minuta decima in Orle.       Minuta decima = hier kleiner Zehnter

Eghehard Lobwürdig zwei Mark vom Kleinen Zehnten in Orle. 

October – Oktober

26.     XVIIII     E.    VII. Kal.   (26. Oktober)

O. Zacharia l. soror nra. que dedit II partes in Orle et domum et curiam. Karitator (Caritator) dabit hic VIII sol. et campanario. …

Starb Zacharia (= Frauenname) Lobwürdig unserer Schwester, sie gab zwei Teile in Orle und das Haus und den Hof. Wohltäter(in) spendet hier 8 solidi (= Schillinge) und (den) Glockenturm.

1307 = Schwester Zacharia   =     Die Aebte des Klosters St. Michaelis zu Lüneburg: mit besonderer Beziehung ... - Arnold von Weyhe-Eimke - Google Books

Urkunden und Forschungen zur Geschichte des Geschlechts Behr - Georg Christian Friedrich Lisch - Google Books

December – Dezember

5.     C.     II. Non.       (5. Dezember)

O. Hergerus l. qui dedit partem in Orle.

Anno domini M. CCC. XXXIIII. Obiit Hedewich ducissa, vxor Wilhelmi ducis.

Starb Hergerus Lobwürdig, er gab einen Teil (vom Zehnten) in Orle.

Im Jahr des Herrn 1334*1) starb Herzogin Hedewich (Hedwig), die Ehefrau von Herzog Wilhelm.

*1) lt. Wikipedia 1336, was aber falsch sein dürfte, siehe dazu auch: Deutsche Inschriften Online: Suchergebnis

Wilhelm II war in erster Ehe (von 4 Ehen) die vor dem 7. April 1328 begann, mit Hedwig von Ravensberg verheiratet, die am 5. Dezember 1334 (1336?) starb.

Wilhelm II. (Braunschweig-Lüneburg) – Wikipedia

Fürstentum Lüneburg – Wikipedia           

Lüneburger Urkundenbuch: Archiv des Klosters St. Michaelis zu Lüneburg - Google Books  

8.     F.   VI. Id.9      (8. Dezember)

Conceptio S. Marie. O. Brethred abbatissa et Thetradis conversa soror nra. marc.  ……. II partes in Orle. Hic cantabitur missa de domina nostra cum sequensia : ave preclara.

Empfängnis der Heiligen Maria. Starb Brüderliche Äbtissin und Thetradis (= deren Name), unsere konvertierte Schwester. Mark ……. 2 Teile in Orle. Hier wird die Messe Unserer Lieben Frau mit der Sequenz : ave preclara *1) gesungen.

(nra. = nostra = unsere) Schwester wurde bekehrt (= conversa)./ marc. (= markiert?)  

*1) ave preclare (maris stella) Mariensequenz aus Muri – Wikipedia 

Wer war Mechthild von Lüneburg (Methildis de Slavia)?

Kommen wir nun auf die interessante Geschichte der Mechthild de Slavia bzw. Mechthild von Lüneburg zurück, die der mecklenburgische Fürst Heinrich der I. von Werle nach dem Tod seiner ersten Frau im Jahr 1291 geheiratet hatte. Nach der Ermordung Heinrich des I. am 8. Oktober 1291 durch seine beiden Söhne aus 1. Ehe suchte sie Zuflucht im Kloster Wienhausen. Unter anderem verlieh sie dem Sankt Michaelis-Kloster in Lüneburg eine Schenkung von drei Teilen des Zehnten in Orle, so dass sie im „Todtenbuch“ des Klosters mit dem uns bereits bekannten Text eingetragen wurde:

VI Idus Januarii obiit domina Methildis de Slauia, que dedit III partes in decima in Orle . . . . et casulam illam cum margaritis. „

Was übersetzt heißt:

Im Jahr 1302 oder in den Jahren danach *1)

Am 8. Januar starb Herzogin Methildis (Mechthild) von Slavia, die den 3. Teil eines Zehnten in Orle gab …. und ihr mit Perlen besticktes Messgewand.

*1) Aus diesem Eintrag ins Totenbuch des Sankt Michaelis-Klosters geht zwar hervor, dass Mechthild von Lüneburg an einem 8. Januar starb, aber leider nicht in welchem Jahr. Im Totenbuch des Klosters Wienhausen ist ebenfalls der 8. Januar als ihr Todestag eingetragen worden. Auch hier fehlt die Jahresangabe. Sicher ist damit nur, dass es nach dem Jahr 1301 gewesen sein muss. Begraben wurde sie im Kloster Wienhausen, wo ihr Grabstein zwar vorhanden, dessen Inschrift aber nicht mehr lesbar ist. 

Vom Landesarchiv Hannover habe ich auf Nachfrage, ob der Eintrag ins Nekrologium des Sankt-Michaelis-Klosters eventuell als eine frühere Ersterwähnung von Orle angesehen werden kann, folgende Antwort erhalten:

„Da Nekrologe dem Totengedenken am jeweiligen Todestag der darin verzeichneten Personen dienen, ist der Todestag wichtig, das Todesjahr hingegen nicht. Vermerkt werden auch Wohltaten der Verstorbenen, hier die Schenkung von Teilen des Zehnten in Orle an das Kloster St. Michael.

Wenn die Angaben der zitierten Autoren aus dem 19. Jahrhundert stimmen, dass Mechthild von Lüneburg identisch ist mit der im Nekrolog genannten Methildis de Slavia, wofür einiges spricht, und auch die genannten Sterbejahre ab 1301 stimmen, bleibt das Problem, dass der Eintrag im Nekrolog nicht datiert ist. Es ist bekannt, dass die Schenkung an St. Michael spätestens mit ihrem Tod geschehen sein muss, aber nicht, wann der Schreiber „Orle“ notiert hat. Anders ist es in einer Urkunde, in der der Inhalt unmittelbar datiert wird, also bekannt ist, wann die Urkunde geschrieben wurde. Eine frühere Ersterwähnung Orles als 1309 kann also aus den o.g. Textstellen leider nicht festgestellt werden.“ 

Auch wenn dies kein früherer urkundlicher Nachweis ist, zeigt es doch, dass es unser Dorf bereits gab, denn ansonsten hätte Mechthild zu ihren Lebzeiten ja nicht „den Zehnten“ in Orle verschenken können. Wer mehr über Mechthild von Lüneburg erfahren möchte, kann dies unter den nachfolgenden Links tun, in denen in der Suchfunktion bereits „Orle“ hinterlegt ist. Sollte sich der Link nicht mit dieser hinterlegten Seite öffnen, dann muss in der Suchfunktion "Orle" eingegeben werden. 

Zu finden ist der Eintrag ins Nekrolog des Klosters in Lüneburg im 5. Band vom „Mecklenburgischen Urkundenbuch“ das im Jahr 1869 vom „Verein für Mecklenburgische Geschichte und Alterthumskunde“ herausgegeben wurde und in dem die Urkunden der Jahre 1301 bis 1311 veröffentlicht wurden. Dieser Eintrag ins Nekrolog des Lüneburger Klosters wurde deshalb ins Mecklenburgischen Urkundenbuch aufgenommen, weil Mechthild mit einem mecklenburgischen Fürsten verheiratet war, und ist auch im Jahrbuch des Vereins für Mecklenburgische Geschichte und Altertumskunde, Band 18, aus dem Jahr 1853 zu finden.

'Meklenburgisches Urkundenbuch. 5, 1301 - 1312', Bild 89 von 742 | MDZ

Mecklenburgisches Urkundenbuch - Google Books

'Verein für Mecklenburgische Geschichte und Altertumskunde: Jahrbücher des Vereins für Mecklenburgische Geschichte und Altertumskunde. 18. 1853', Bild 214 von 382 | MDZ (digitale-sammlungen.de)

Jahrbücher des Vereins für Mecklenburgische Geschichte und Altertumskunde - Verein für Mecklenburgische Geschichte und Altertumskunde - Google Books 

Über die Geschichte von Mechthild von Lüneburg findet man im Dokumentenserver der Landesbibliothek Mecklenburg-Vorpommern einen ausführlichen Beitrag (beginnt dort mit der Seite 26). Über den Eintrag ins Nekrolog des Michaelis-Kloster in Lüneburg wird auf Seite 31 berichtet.

Mechthild von Lüneburg, Gemahlin des Fürsten Heinrich I. von Werle (lbmv.de) 

 

Das Nekrolog des St. Michaelis-Klosters ist eines der wenigen erhalten gebliebenen historischen Dokumente, die keine eindeutige Zuordnung der Ereignisse in Orle ermöglichen. Doch das änderte sich endgültig ab dem Jahre 1308.

Und damit beginnt die belegbare Geschichte unseres Heimatdorfes Oerrel an der Kleinen Oertze.